35. Stolpersteinverlegung

Am 24. Juni wurden in Würzburg Stolpersteine für drei weitere Opfer der NS-Krankenmorde verlegt, für Barbara Hörner in der Ständerbühlstraße 16b, Philomena Joa in der Plattnerstraße 9 und Gabriele Schelble in der Virchowstraße 6.  Am 9. Juli werden weitere Stolpersteine für die jüdischen Opfer Paula und Albert Dannenberg folgen.  Die Patenschaft für Gabriele Schelble übernahmen die Omas gegen Rechts. In einem berührenden Bericht schreiben sie über das Schicksal des Opfers und die Verlegung:

 „Ein Leben, das nicht vergessen werden darf“ – Omas gegen Rechts übernehmen Patenschaft für Stolperstein in der Virchowstraße

Am Mittwoch, den 24. Juni 2025, fand in Würzburg die 35. Verlegung von Stolpersteinen statt. Fünf neue Steine wurden in den Gehweg eingelassen – sichtbare Zeichen des Gedenkens an Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden. Insgesamt erinnern nun 712 Stolpersteine im Stadtgebiet an diese Opfer der NS-Diktatur.

Die Omas gegen Rechts Würzburg haben bei dieser Verlegung erstmals die Patenschaft für einen Stolperstein übernommen: für Gabriele Schelble, deren Stein nun vor dem Haus in der Virchowstraße 6 zu finden ist. In einer bewegenden kleinen Zeremonie gedachten Mitglieder der Initiative der Ermordeten.

Gabriele Schelble war eines der zahllosen Opfer der sogenannten„AktionT4“, dem systematischen Mordprogramm der Nationalsozialisten an Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen. Unter dem zynischen Vorwand der „Euthanasie“ wurden im gesamten Reichsgebiet ab 1940 mehr als 70.000 Menschen in eigens eingerichteten Tötungsanstalten ermordet. Mit Giftgas, Medikamenten oder durch gezielte Vernachlässigung. Auch nach dem offiziellen Stopp der Aktion 1941 gingen die Tötungen dezentral weiter. Die Opfer wurden entrechtet, entmenschlicht und als „lebensunwert“ bezeichnet. Ein erschütterndes Zeugnis der Grausamkeit und der ideologischen Verblendung des NS-Regimes. Dass Gabriele Schelble in jungen Jahren diesem verbrecherischen System zum Opfer fiel, verpflichtet uns, ihre Geschichte sichtbar zu machen und dem Vergessen entgegenzutreten.

Dagmar Wirth verlas den Lebenslauf von Gabriele Schelble, den sie auf Grundlage der historischen Recherchen des Arbeitskreises Stolpersteine zusammengestellt hatte. Ihre Worte verliehen dem Namen auf dem Messingstein ein Gesicht, ein Leben, eine Geschichte.

Gabriele Schelble wurde am 18. Oktober 1907 in Oberschlesien geboren.

Nach der politischen Neuordnung der Region übersiedelte sie 1922 mit ihren Eltern nach Rothenburg ob der Tauber, wo ihr Vater eine Stelle als Lehrer annahm. Sie galt als fleißig, tadellos im Betragen und zeigte schulische Begabung. Doch schon in jungen Jahren entwickelte sie psychische Auffälligkeiten, die schließlich zur Diagnose Schizophrenie führten. Es folgten jahrelange Aufenthalte in verschiedenen Heil- und Pflegeanstalten. Ihr Vater betreute sie mit großer Fürsorge, versuchte mehrmals, sie nach Hause zu holen und pflegte engen Kontakt zu den behandelnden Ärzten. Doch ihre Erkrankung verschlechterte sich zunehmend. Ab 1933 lebte Gabriele Schelble in der Heil- und Pflegeanstalt Werneck bei Würzburg, bis sie im Oktober 1940 von dort in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein deportiert und kurz vor ihrem 33. Geburtstag mit Gas ermordet wurde. Alle Versuche ihres Vaters, sie zu schützen, blieben am Ende wirkungslos gegenüber der menschenverachtenden Maschinerie des NS-Staates.

Nach einer anschließenden Schweigeminute spielte Margit Wenger-Schott auf der Querflöte eine Melodie von Ilse Weber. Die Stimmung war still und getragen von Betroffenheit sowie dem Bewusstsein, dass Erinnerung aktives Handeln bedeutet. Den Abschluss bildete ein selbstverfasstes Gedicht von Claudia Gabel, das sie im Namen der Omas gegen Rechts vortrug. Es war ein persönlicher, eindringlicher Text, der nicht nur das Schicksal von Gabriele Schelble berührte, sondern auch die Verantwortung der Gegenwart benannte.

Die Omas gegen Rechts werden sich auch in Zukunft um die Pflege des Stolpersteins kümmern–ein Zeichen dafür, dass Erinnern nicht endet, sondern weiter lebt: auf der Straße, in den Köpfen und in unserem gesellschaftlichen Handeln.

Gedicht zum Gedenken an Gabriele Schelble und die vielen anderen Opfer der NS- Euthanasie

 

Sie sagten “Unwert!” und flüsterten “Last!”.

Sie rechneten Leben – in Zahlen gefasst.

So sehr war ihnen das Leben verhasst.

 

Die Spritze, das Gas, kalte Bürokratie,

Die Menschen verschwanden – offiziell Therapie.

Menschlichkeit in den Fluren zu finden – so selten wie nie.

 

Es gab kein Entrinnen vor diesem Tod.

Die reden konnten, sahen sich selbst in der Not.

Und kümmerten sich um ihr tägliches Brot.

 

Nun stehen wir hier, geben dem Namen Klang.

Was wir heute sehen, macht unsre Herzen bang.

Gabriele Schelble, dein Leben – nur 32 Jahre lang!

 

Doch wert, wie das unsre, voll Würde und Sein.

Das  Schweigen durchbricht heut diesen Stolperstein

Und erinnert uns täglich,  menschlich zu sein!

Claudia Gabel

Fotos von Alexander Kraus