Abendveranstaltung zur 35. Stolpersteinverlegung
Im Rahmen der 35. Stolpersteinverlegung fand am 24. Juni 2025 im voll besetzten Großen Rathaussaal Würzburg eine Abendveranstaltung statt. Unter dem Titel „Entrechtet – Zwangssterilisationen, Zwangsabtreibungen und medizinische Experimente in der Universitätsfrauenklinik Würzburg während der NS-Zeit“ referierte Prof. Dr. med. Johannes Dietl, ehemaliger Direktor der Universitätsfrauenklinik, über menschenverachtende Praktiken in der Universitätsfrauenklinik Würzburg zur Zeit des Nationalsozialismus.
Die Veranstaltung wurde von Dr. Matthias Bartsch moderiert und musikalisch gestaltet vom Winterstein Sinti-Swing-Ensemble mit Shanti Winterstein, Rehan Syed, Nucki Winterstein und Laurent Fx.
Nach einem Grußwort der zukünftigen Sozialreferentin der Stadt Würzburg Eva von Vietinghoff-Scheel folgte der Vortrag von Prof. Dietl.
Im Mittelpunkt des Beitrags standen Zwangssterilisationen, Zwangsabtreibungen und medizinische Versuche an Frauen und ungeborenen Kindern, die unter dem Deckmantel der „Rassenhygiene“ und „Erbgesundheit“ durchgeführt wurden.
Dietl zeichnete nach, wie sich die nationalsozialistische Ideologie in Gesetzgebung und medizinischer Praxis niederschlug. Besonders erschütternd war die Rolle der Würzburger Frauenklinik unter Leitung von Carl Joseph Gauß, der sich aktiv für die Röntgen-Sterilisation einsetzte. Neben der Anwendung dieser Methoden in Würzburg berichtete Dietl über deren Weiterentwicklung in Konzentrationslagern wie Auschwitz und Ravensbrück, wo grausame Menschenversuche an Frauen, Kindern und sogenannten „Zigeunermischlingen“ stattfanden.
Anhand konkreter Einzelschicksale veranschaulichte Dietl das Leid der Betroffenen. Besonders bedrückend war die Beschreibung der röntgengestützten Experimente an Schwangeren und deren Feten, etwa durch die Injektion radioaktiver Kontrastmittel. Auch auf die systematische Zwangssterilisation von Sinti und Roma sowie von osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen wurde eingegangen.
Zum Schluss beleuchtete Dietl die lange Geschichte der gesellschaftlichen und politischen Verdrängung dieser Verbrechen nach 1945. Erst im Jahre 2007 wurde das „Gesetz zur Verhütung von erbkranken Nachwuchses“ vom deutschen Bundestag geächtet und wurden Zwangssterilisierte gesellschaftlich rehabilitiert. Am 27. Januar 2011, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, wurde das „Allgemeine Kriegsfolgengesetz“ neu geregelt. Seitdem erhalten Zwangssterilisierte monatlich 291.- Euro. Bis im Jahre 2024 wurde die monatliche Beihilfe auf 667.- Euro erhöht.
Im Juni 2024 lebten gerade noch 13 beihilfeberechtigte Zwangssterilisierte.
Der Vortrag war eine eindrucksvolle und zugleich erschütternde Mahnung an die Verantwortung der Medizin in einer Diktatur – und ein Plädoyer für historisches Erinnern und moralische Wachsamkeit.
Fotos von Alexander Kraus und Marek Surdyka