Psychisch Kranke und Behinderte

Zwangssterilisationen

Die nationalsozialistische Rassenhygiene beruhte auf der Lehre der Eugenik. Diese unterschied zwischen höherwertigem oder minderwertigem Erbgut.

Das im Juli 1933 erlassene „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ erlaubte die Zwangssterilisation „erbkranker“ und „nicht-arischer“ Menschen. Zwei Jahre später durften aus eugenischen Gründen Zwangsabtreibungen bis zum sechsten Schwangerschaftsmonat vorgenommen werden, meist mit gleichzeitiger Sterilisation. Ein kleiner Teil der Sterilisierten starb unmittelbar nach dem Eingriff, die anderen litten ihr Leben lang an den psychischen und physischen Folgen. Eine Wiedergutmachung wurde ihnen nach 1945 nicht zugestanden.

Zwangssterilisationen in Würzburg

In der Frauenklinik Würzburg sterilisierte man bis 1945 fast tausend Frauen wegen psychischer Erkrankung, körperlicher Behinderung oder aus rasseideologischen Gründen. Die Anzahl der Zwangssterilisationen bei Männern ist nicht bekannt, da die Unterlagen im Krieg vernichtet wurden. Etwa vierhundert dieser Zwangssterilisierten kamen aus den beiden unterfränkischen Heil- und Pflegeanstalten Lohr und Werneck.

Psychisch Kranke und Behinderte galten nicht nur als erbkrank, sie wurden auch als Belastung für die Volksgemeinschaft betrachtet, da ihre Unterbringung und Pflege hohe Kosten verursachte, sie aber keine Leistung für die Gesellschaft erbringen konnten.

NS-Propagandaplakat

Geplante Ermordung psychisch Kranker und Behinderter

Die Nationalsozialisten bezeichneten in ihrer Propaganda das Leben der Kranken als „lebensunwert“. Mit dem Begriff „Euthanasie“, das heißt  guter Tod, umschrieb man ihre geplante Ermordung und stellte sie als einen Akt der Gnade dar.

1940-1941 Die Aktion T4

Mit Kriegsbeginn sah man den richtigen Zeitpunkt für die Tötung dieser Menschen gekommen.

Die Aktion T4 begann mit einem Schreiben Hitlers an seinen Leibarzt Brandt und Reichsleiter Bouhler, zurückdatiert auf den 1.September 1939. In diesem verfügte er, “…die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden darf“.

In der Tiergartenstraße 4 in Berlin wurde eine Abteilung eingerichtet, die die Patientenmorde steuern und verwalten sollte. Diese Adresse wurde zum Namensgeber der Aktion T4, deren Leiter der Würzburger Psychiatrieprofessor Dr. Werner Heyde war.

Ab Herbst 1939 mussten alle Anstalten Meldebögen für ihre Patienten ausfüllen und an die Tiergartenstraße 4 senden. Dort sichteten sie drei Gutachter und entschieden über Leben und Tod. Nach einiger Zeit kamen Listen mit den Namen der Patienten zurück, die getötet werden sollten. Diese Patienten transportierte man dann entweder in eine Zwischenanstalt oder direkt in eine der sechs Tötungsanstalten, wo sie sofort nach ihrer Ankunft mit Gas ermordet und verbrannt wurden. Ihren Familien bot man den Erwerb der Asche an. Zudem erhielten sie einen „Trostbrief“.

Hier ein Ausschnitt aus einem „Trostbrief“ der Tötungsanstalt Grafeneck:

„Bei der geistigen, unheilbaren Erkrankung Ihrer Tochter ist der Tod eine Erlösung für sie und ihre Umwelt.

Da in die Verlegungen auch solche Patienten eingeschlossen sind, die neben ihrer geistigen Erkrankung mit Infektionskrankheiten behaftet waren, musste der Leichnam Ihrer Tochter laut Anordnung der Gesundheitspolizei zur Verhütung übertragbarer Krankheiten sofort eingeäschert werden. Einer besonderen Zustimmung Ihrerseits bedurfte es in diesem Falle nicht.“

Die zugesandte Sterbeurkunde enthielt ein falsches Todesdatum und nannte eine natürliche Todesursache.

Am 24. August 1941 beendete Adolf Hitler die bislang geheim gehaltene Aktion T4, weil er den Druck der Kirchen und die zunehmende Bekanntheit in der Öffentlichkeit fürchtete. Etwa 70.000 Menschen waren ihr zum Opfer gefallen.

Die Aktion T4 in Unterfranken

Ende September 1940 teilte der Gauleiter von Mainfranken Dr. Hellmuth der Anstalt Werneck mit, dass sie geräumt werden müsse. Man benötige den Platz für deutsche Umsiedler. Die Patienten sollten in der Anstalt Lohr Platz finden.

Die Räumungsaktion begann am 2. Oktober in Lohr. Innerhalb von fünf Tagen gingen Transporte aus beiden Anstalten direkt in die Tötungsanstalten Hartheim (Oberösterreich) und Pirna-Sonnenstein (Sachsen). Patienten, die man in die Zwischenanstalten Großschweidnitz und Arnsdorf gebracht hatte, wurden später auch in Pirna-Sonnenstein getötet. Etwa die Hälfte der Wernecker Patienten konnte man so in Lohr unterbringen. Im November erfolgte ein letzter Transport aus Lohr über die Zwischenanstalt Weinsberg in die Tötungsanstalt Grafeneck (Baden-Württemberg).

1941-1945 Die Tötung in den Anstalten

Nach dem Ende der Aktion T4 verlagerte sich die Tötung körperlich und geistig behinderter Menschen in die Heil- und Pflegeanstalten.

Schon ab 1941 verabreichte man nicht arbeitsfähigen Patienten in einigen Anstalten die sogenannte Hungerkost. Es handelte sich um ein völlig fettloses Essen, das nur aus lange in Wasser gekochten Gemüseresten bestand. Die völlig ausgehungerten und entkräfteten Menschen starben nach wenigen Wochen.

Patienten wurden auch durch die Überdosierung von Medikamenten, durch die Nichtbehandlung der Kranken oder durch absichtliche Vernachlässigung ermordet. Zudem kam es in einigen Anstalten zu größeren Mordaktionen.

Lohr gehörte nicht zu diesen Anstalten. Aber auch hier erhöhte sich die Sterberate wie in allen Anstalten durch die Überbelegung und die kriegsbedingt schlechte Versorgung.

1939-1945 Die Tötung von Kindern in „Kinderfachabteilungen“

Ältere Kinder und Jugendliche, die schon in Anstalten untergebracht waren, fielen der Aktion T4 zum Opfer.

Um aber auch die Neugeborenen und kleinen Kinder zu erfassen, richtete man bereits 1939 den „Reichsausschuß zur Erfassung erb- und anlagenbedingter schwerer Leiden“ ein. Ärzte und Hebammen mussten den Gesundheitsämtern Kinder bis zu drei Jahren mit bestimmten Leiden wie z. B. „Idiotie, Missbildungen, Lähmungen, usw.“ melden. Die Meldebögen gingen an den Reichsausschuss, wo drei Gutachter entschieden, ob die Kinder zur „Beobachtung“ oder zur „Behandlung“, womit die Tötung gemeint war, in eine der ab 1940 eingerichteten Kinderfachabteilungen kommen sollten.

Auf die Eltern wurde Druck ausgeübt und man stellte ihnen die eventuelle Genesung ihrer Kinder in Aussicht. Nach dem Stopp der Aktion T4 wurden auch ältere Kinder bis zu 16 Jahren in diese Fachabteilungen aufgenommen und getötet.

Die Tötung von unterfränkischen Kindern in „Kinderfachabteilungen“

In Bayern gab es mit Eglfing-Haar, Kaufbeuren und Ansbach drei solcher „Kinderfachabteilungen“. Gut dokumentiert ist das Schicksal von zwölf Kindern, die man von Lohr nach Eglfing-Haar schickte. Ein Teil der Kinder wurde in die Anstalt Kaufbeuren-Irsee gebracht und getötet. Den Ermordeten entnahm man zu Forschungszwecken ihre Gehirne.

Eines dieser Kinder war zum Beispiel der zwölfjährige Karl Neubauer, der sein ganzes Leben in Heimen verbracht hattte.

Unterfränkische Kinder wurden nicht nur in bayerischen „Kinderfachabteilungen“ ermordet. Der in Würzburg geborene Gerhard Dieter Horn war erst ein halbes Jahr alt, als er 1941 in die „Kinderfachabteilung“ Eichberg (Hessen) kam. Neun Monate später war er tot, angeblich an „Masern-Nierenentzündung und Herzschwäche bei mongoloider Idiotie“ gestorben.

Er war eines der insgesamt etwa 5.000 Kinder, die in den deutschen Kinderfachabteilungen getötet wurden.